Um die Iren zu verstehen, muss man mit ihnen reden, muss ihr Land anschauen und man muss vor allem ihre Filme anschauen.
Deswegen hab ich mir letztes Wochenende
The Wind that shakes the Barley angesehen, und dieses Wochenende gab es
The Magdalene Sisters.
Beide spielen in Irland im 20. Jahrhundert, und beide sind furchtbar traurig.
Dabei denkt man, wenn man an Irland denkt, doch meistens an froehliche und betrunkene Menschen, die singen und tanzen und die Fiedel spielen, und das stimmt ja auch. Die Iren sind oft und gern betrunken und froehlich, und Musik machen koennen sie auch. Das weiss ich umso besser, seit ich direkt ueber einem Pub wohne.
Aber wenn man ihre Filme ansieht, sind sie furchtbar traurig, zumindest die, die ich bisher gesehen habe.
Und wenn Steve seine 15 bis 20 Guiness hat, dann legt er seinen Kopf auf die Tischplatte und jammert, dass es mit Irland zu Ende geht und dass der Kapitalismus schaffen wird, was die Englaender nie geschafft haben, und dass er jetzt sterben will, jetzt sofort.
Lasst euch also nichts erzaehlen ueber die lustigen Iren.
Ich habe geweint, als ich "The Wind that shakes the Barley" gesehen hatte.
Erst draussen vor dem Kino, als meine Traenen getrocknet waren und ich mir endlich meine ersehnte Zigarette anzuenden durfte -
zu Heinrich Boells Zeiten wurde in irischen Kinos noch geraucht, ich bin zu spaet geboren - erst dann also bemerkte ich, dass ausser uns (Christian, Christopher und mir) noch ein paar andere deutsche Austauschstudenten im Kino gewesen waren, um sich denselben Film anzusehen.
Wir sagen hallo und reden ueber den Film.
Jeder versucht, nicht allzu deutlich durchblicken zu lassen, wie wenig Ahnung er ueber den historischen Hintergrund des Films hat. Ich fuer meinen Teil weiss nur, dass die Englaender Irland besetzt hatten und die Iren waehrend des Ersten Weltkriegs, als die Englaender abgelenkt waren, eine Revolution anzettelten. Eine Menge Leute wurden erschossen, es ging ein paar Jahre hin und her, bis die irischen Politiker mit den englischen Politikern einen Vertrag schlossen, der Suedirland ein bisschen Unabhaengigkeit zugestand, Nordirland aber weiterhin an die englische Krone band.
Seitdem gibt es eine Menge Aerger, weil die Iren natuerlich eigentlich richtig frei sein wollten und nicht nur ein bisschen.
Dieser kleine, bebrillte Schwabe mit dem Sepultura-T-Shirt steht auch vor dem Kino, waehrend ich meine lang ersehnte Zigarette rauche und mich zu erinnern versuche,
was ich bei der Fuehrung durch das Dubliner Gefaengnis noch mal alles gehoert hatte, was mit der irischen Revolution zusammenhing.
Der Schwabe sagt: "Ei weisch, man muss des auch von der anderen Seite sehn."
Wie bitte?
"Der Film hat die irischen Revolutionaere scho ei bissle hochschtilisiert. Wenn sich so ein irischer Nationalist den Film anschaut, der fuehlt sich doch nur beschtaetigt. Also ich find, man muss bei dem Ganzen auch die englische Seite seh."
Die englische Seite? Meint der kleine Schwabe etwa, der Film solle doch bittschoen Mitgefuehl zeigen fuer die armen Englaender, die ja einen Teil Irlands wieder an die Iren abtreten mussten und die irischen Bauern danach nicht mehr so schoen ausbeuten konnten wie zuvor? Die englische Seite?!?
Ich schweige, ziehe an meiner Zigarette, das Grauen verschlaegt mir die Sprache.
Das Grauen, so eine typisch deutsche Meinung aus dem Mund dieses kleinen Schwaben zu hoeren, dieses alberne Beharren auf political correctness, auf OBJEKTIVITAET, und das in bezug auf einen Film, der ueberhaupt nicht objektiv sein will.
Diese alberne deutsche Angst vor einer Sichtweise, die nationalistisch ausgelegt werden koennte, diese ewige Nazi-Angst, die soweit fuehren kann, das man sich ploetzlich dabei ertappt, wie man Imperialisten, die ein anderes Volk unterdruecken, gegenueber den Revolutionaeren dieses unterdrueckten Volkes in Schutz nimmt.
Natuerlich bin ich nicht objektiv, verdammt. Natuerlich identifiziere ich mich mit den Iren, wenn ich ihre Filme anschaue. Wenn ich objektiv haette sein wollen, waere ich zuhause geblieben.
Ich versuche, diese typisch deutsche Angst nicht zu haben: die Angst, eine Meinung zu haben.
Ei weisch.
Was ich allerdings nie koennen werde, ist, die katholische Kirche so zu hassen, wie die Iren sie im Moment hassen. Erstens bin ich nicht katholisch, und zweitens stamme ich nicht aus einem Land, dass sich jetzt erst von der Bevormundung durch die Kriche emanzipiert. Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein waren homosexuelle Akte und Ehescheidungen in Irland per Gesetz verboten.
Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein gab es in diesem Land von Nonnen gefuehrte Waeschereien, in denen sich "Suenderinnen" durch lebenslange, natuerlich unbezahlte, harte Arbeit von ihren "Suenden" reinwaschen konnten. Diese "Suenden" bestanden darin, ein uneheliches Kind zu haben, vergewaltigt worden zu sein oder einfach zu huebsch auszusehen.
Und genau davon handelt der Film, den ich mir dieses Wochenende angeguckt habe: The Magdalene Sisters, zu deutsch "
Die Unbarmherzigen Schwestern".
Bei diesem Film hab ich nicht geweint, was aber vielleicht auch daran lag, dass ich ihn mit Christian zusammen auf DVD geguckt habe und nicht im Kino.
Danach bin ich noch auf einen Poetry Slam gegangen, mit Verspaetung zwar, aber doch. Und gerade, als ich mich leise in die Weinbar schlich, in der der Slam stattfand, trug die von mir so verehrte irische Poetin
Trish Casey vor.
(ja, das ist die auf dem Bild :-)
Sie singt, wenn sie dichtet. Und sie wirft gruene Blaetter von heiligen Baeumen auf ihre Zuhoerer. Und all ihre Gedichte an diesem Abend hatten nur einen Inhalt:
ihre Wut auf die katholische Kirche, die Jungfrauen und Muetter liebt, aber Frauen hasst.
Am naechsten Tag, Samstag, war ich mit Anna und den Jungs im
Roisin Dubh.
"Roisin Dubh" bedeutet "Schwarze Rose" und avanciert so langsam zu meiner Lieblingskneipe in Galway, denn dort gibt es feine Live-Musik, leckeres Bier und eine Dachterasse, auf der man sogar rauchen darf.
Auf dieser Dachterrasse sass ich also am Samstag mit Anna und den Jungs, rauchte und guckte Leute.
Eine blonde Frau am Nebentisch kam mir ausgesprochen bekannt vor. Nur dass ihr Haar schwarz war, als ich sie zuletzt sah.
Es war Nora-Jane Noone, ihres Zeichens Schauspielerin, gebuertig 1984 in Galway, Irland. Und ich hatte sie zuletzt am Abend zuvor gesehen, naemlich in der Hauptrolle von "The Magdalene Sisters".
Ich schubse Christian, guck mal, die schaut aus wie... ne, das ist die... ich geh jetzt hin und frag.
Christian steht auf und geht rueber zu ihr, unterhaelt sich eine Weile, Nora-Jane laechelt.
"Sie ist es wirklich!" verkuendet Christian, als er an unseren Tisch zurueckkehrt, "und als sie gemerkt hat, dass ich kein Stalker bin, war sie sogar richtig nett."
hirnklatsche - 11. Sep, 15:20