zum halbjährigen: wie es ist, ausländerin zu sein (untermalt von Udo Jürgens)

Jetzt wohne ich schon seit genau einem halben Jahr in einem Land, das nicht mein eigenes ist.
Ich bin Ausländerin.
Ich habe einen komischen Akzent, ich verhalte mich seltsam, ziehe mich seltsam an.

Ich erinnere mich an die Portugiesen in Gaustadt, die in den 60ern als Gastarbeiter nach Bamberg kamen und jetzt zum Teil immer noch da sind, Ausländer seit 40 Jahren. Ich erinnere mich, wie ich sie damals besucht habe, weil ich für die Uni eine Reportage schreiben musste und es mich schon immer interessiert hat, wie die Portugiesenkneipe um die Ecke von innen aussieht.
Die Bamberger Portugiesen hatten Poster von Sonnununtergängen über Lissabon an die Wände gehängt, ihre Kinder sprachen fränkisch und zogen sich nicht seltsam an und verhielten sich auch nicht seltsam.
Aber die Väter tranken manchmal noch portugiesischen Wein und starrten die Poster an den Wänden an und versuchten, portugiesische Sender in den deutschen Fernsehapparat zu kriegen.
Ich verstand die Art nicht, wie sie über Portugal redeten: so ähnlich, wie ein Teenager über einen Filmstar reden würde, in den er verliebt ist.
Sie schwärmen von etwas, was sie eigentlich gar nicht kennen.

Von wegen "Und dann erzählten sie mir von grünen Hügeln, Meer und Wind."
Als Udo Jürgens das Lied geschrieben hat, wussten die Griechen schon gar nicht mehr, welche Farbe ihre Hügel zuhause haben. Grün sind die nämlich bestimmt nicht.

Hier in Irland sind die Hügel auch nicht so grün, wie uns die Amerikaner immer weismachen wollen, hoechstens vielleicht in Kerry im Sommer, aber ganz bestimmt nicht auf Achill Island im Winter.
Aber eigentlich ist das ja egal, welche Farbe die irischen Hügel haben, denn es sind ja sowieso nicht unsere Hügel, nicht wahr.
Wir sind Deutsche in Irland, wir ERASMUS-Studenten, wir sind so deutsch wie noch nie in unserem Leben. Manche von uns melden sich am Telefon mit "Schland" statt mit dem eigenen Namen. Wir gucken "Berlin Berlin" auf DVD und müssen fast weinen, weil die Strassen da so stabil aussehen und die Telefonzellen gelb sind und in den Vorfahrt-Achten-Schildern nicht "Yield" steht, kurz, weil das halt Schland ist und zuhause, und wir sind weit weg.
Wir rotten uns zusammen, schlimmer als die Portugiesen in ihrer Gaustädter Kneipe, aber wir sind ja auch erst seit einem halben Jahr Ausländer und hatten keine 40 Jahre Zeit zum Ueben. Einige von uns haben seit Wochen mit keinem Iren mehr geredet, hoechstens beim Einkaufen ein "Thank You" mit einem viel zu locker flutschendem th, ein Ire hätte nämlich "Tank You" gesagt.
Wir hängen zusammen rum, verbarrikadieren uns in Häusern, in der Oeffentlichkeit in Gruppen, trinken den überteuerten Alkohol dieses Landes und sind froh, mit Menschen reden zu koennen, die als Kinder auch die Sendung mit der Maus gesehen haben.
Wir ISOLIEREN uns.
Genauso wie die boesen Türken zuhause in Deutschland, die sich "nicht richtig integrieren" wollen.
Wir wollen uns auch nicht richtig integrieren, verdammt.
Wir wollen mit Leuten herumhängen, die nicht finden, dass wir einen "funny accent" haben, die nicht hinter unseren Rücken zu ihren Freundinnen sagen, dass wir ja nie betrunken und viel zu verklemmt angezogen sind, die nicht versuchen, uns ins Bett zu kriegen, nur weil wir blond sind.
Manche von uns nehmen auch Nebenjobs an und nehmen den Einheimischen die Arbeitsplätze weg.
Und manche von uns nehmen den Einheimischen sogar die Frauen weg.

Ja, es stimmt: wir Ausländer sind boese.

Aber hey, immerhin sind wir Akademiker.
Wir lesen das "Irische Tagebuch" und gucken "The Wind That Shakes The Barley" und versuchen wenigstens ein bißchen was über dieses Land zu lernen.
Aber so ganz verstehe ich immer noch nicht, was an diesem Rugby-Spiel am Samstag denn jetzt so aufregend sein soll, obwohl Anna es mir erklärt hat.
Ich werde das nie ganz verstehen koennen, weil ich nun mal, in Gottesnamen, kein Ire bin, sondern Deutsche und hier im Ausland, nach der WM 2006, so deutsch wie noch nie in meinem Leben.

Gleichzeitig werde ich ja doch irifiziert.
Irgendwie passt man sich ja doch an, ob man will oder nicht - und ich, ich will mich eigentlich schon anpassen.
Irgendwann bringt man es tatsächlich fertig, Würstchen und Bohnen zu frühstücken.
Irgendwann findet man Leute, die als Kinder keineswegs die Sendung mit der Maus gesehen haben und die einen korrigieren, wenn man Grammatikfehler macht, und die man erstaunlicherweise trotzdem mag.
Mit denen man sich besser versteht als mit manchen Exildeutschen.
Und mit denen trinkt man dann Guiness oder Jameson's und wenn die Pubs schliessen, geht man nachhause durch die instabilen Strassen, vorbei an Telefonzellen mit eingeschlagenen Glasscheiben und vorbei an Vorfahrt-Achten-Schildern, auf denen "Yield" steht, und dann singt man leise vor sich hin:
"In dieser Stadt
werd' ich immer nur ein Fremder sein
und - allein."
kleinepetra - 4. Mär, 20:39

ROLLENSPIEL

kann ich gut verstehen... obwohls bei mir anders war und ich dort wirklich keinen kannte und kein ERASMUS-Programm hatte. Ich hab mich immer gefragt, ob ich mich selber in die Rolle der "isolierten Deutschen" drücke, oder gedrückt werde. Die Antwort ist wohl beides, aber gut für mich und für die Schweizer wars trotzdem, weil ich irgendwann angefangen hab gegen beides zu kämpfen. Vielleicht zu spät, aber besser spät als nie. Beim nächsten Mal wirds besser! Aber du bist doch auf dem besten Weg! Du wirst die Würstchen und Bohnen vermissen in Schland und hier bist du doch sowieso die Irin ;-) Irgendwas dazwischen ist man immer. Lass uns mal wieder Skypen.

adele petra

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