Montag, 26. Februar 2007

Saturday, bloody Saturday

Wenn man im Fernsehen sieht, wie muskuloese Insulaner in grünen Hemden muskoloese Insulaner in weiß-roten Hemden auseinandernehmen, dann schaut man wohl gerade ein Rugby-Spiel Irland gegen England.



Jetzt am Samstag war wieder eins.
Aber nicht irgendeins.

Croke-Park-Stadion, 1920

"Im November 1920 ordnete Michael Collins, Finanzminister und Kopf der Irish Republican Brotherhood, die Ermordung der sogenannten "Kairo Gang" an, 12 hochrangige britische Agenten, die darauf angesetzt waren, irisch-nationalistische Organisationen zu infiltrieren und zu unterwandern. In der Nacht auf den 21. November tötete die von Collins gegründete Spezialeinheit "Squad" alle zwölf Männer - einige von ihnen in ihren eigenen Häusern, andere unter den Augen ihrer Familien. 2 Auxiliaries wurde vom Squad auf der Flucht erschossen. Diese Aktion warf die britische Agententätigkeit in Irland weit zurück. Viele andere Spione und die übrigen Mitglieder der Gang flohen ins Dublin Castle und lösten Bestürzung innerhalb der britischen Administration aus.

Für das Gaelic Football-Team aus Dublin war für den späteren Tag ein Spiel gegen die Mannschaft aus der Grafschaft Tipperary im Croke Park angesetzt. Später berichtete einer der Auxiliaries, der in den Blutsonntag verwickelt war, dass eine Münze geworfen wurde, ob man auf eine Mord-Tour in den Croke Park fahren oder stattdessen die Sackville Street (heute: O'Connell Street) plündern sollte.

Trotz des Unbehagens in Dublin aufgrund der morgendlichen Tötungen durch die IRA fuhren die kriegsmüden Menschen mit ihrem Alltag fort. Ungefähr 10.000 Zuschauer versammelten sich daher im Croke Park, um dem Spiel zuzusehen. Doch innerhalb von Minuten nach Spielbeginn flog ein Flugzeug über das Spielfeld, aus dessen Cockpit eine rote Leuchtrakete abgeschossen wurde. Auxiliaries strömten auf das Spielfeld, während ein führender Offizier einen Revolverschuss abfeuerte. Die Gruppe begann vom Spielfeld aus in die Menge zu schießen, während ein anderer vom Eingang her eine Maschinenpistole abfeuerte. Die Menschenmenge begann zurückzuweichen. Zwei Spieler, Michael Hogan und Jim Egan, wurden angeschossen; Hogan starb später an seinen Verletzungen. Ein junger Mann aus Wexford, der versuchte, dem sterbenden Hogan ein Gebet zuzusprechen, wurde ebenfalls getötet. Insgesamt starben 14 Menschen, 65 wurden verletzt. Unter den Opfern waren auch Jeannie Boyle, die 5 Tage vor ihrer Hochzeit mit ihrem Verlobten das Spiel besuchte, und der 14-jährige John Scott, der so verstümmelt war, dass anfänglich vermutet wurde, er sei bestialisch mit einem Bajonett erstochen worden. Die jüngsten Opfer waren 10 und 11 Jahre alt."
(Zitat: Wikipedia)

Natürlich war das kein offizieller Auftrag der britischen Armee, in ein irisches Stadion zu gehen und wahllos friedliche Sportzuschauer zu erschießen. Der damalige Koenig, Edward V, distanzierte sich in aller Oeffentlichkeit davon.

Die Iren fanden das trotzdem überhaupt nicht lustig.
Die Gaelic Athletic Association, der das Stadion gehoert, ließ seither nicht nur keine Engländer mehr ins Stadion - sie ließ nicht einmal mehr englische Sportarten ins Stadion. Das heißt, im Croke Park wurde seit einem Jahrhundert immer nur Gaelic Football und Hurling gespielt.

Croke-Park-Stadion, 2007

Das hat sich vorletzte Woche geändert, als Irland im Zuge der Six Nations Game im Croke Park Rugby - ein englisches Spiel - gegen Frankreich spielte. Und letzten Samstag schließlich spielte die irische Nationalmannschaft im Croke nicht nur ein englisches Spiel, sondern obendrein ein englisches Spiel gegen England.

Und mit wieviel Stil!
Nicht nur gewannen die Iren haushoch mit 43-13, sie wahrten auch die ganze Zeit über vollendete Manieren gegenüber den englischen Gästen.
Keine Buhrufe während der englischen Nationalhymne, keine Fouls (wobei ein Rugby-Spiel in meinen fussballverwoehnten Kontinental-Weicheier-Augen ein einziger Foul ist, aber es gibt auch offizielle Fouls. Einem Gegner mehr als drei Rippen auf einmal zu brechen, zum Beispiel, gilt als Foul.),
keine - keine!- Ausschreitungen im Publikum, keine Hooligans, keine Prügeleien.

Ehrlich, seit ich dieses Spiel gesehen habe, bin ich noch ein klein bißchen irifizierter als sowieso schon. Ich mag die Iren wieder, seit mir am Samstag neunzig Minuten lang ein Shamrock aus dem Kopf wuchs, während ich im King's Head Pub saß und Tränen der Rührung in mein Guiness weinte.

Ein irischer Rugby-Spieler sieht ungefähr so aus:

auch diese Hände koennen zärtlich sein

Jetzt stelle man sich vor, wie so ein Kerl, der an die zwei Meter groß und drei Meter breit ist, wie ein kleines Kind in Tränen ausbricht.
Weil er bei diesem Spiel antreten darf, bei diesem Rugby-Spiel Irland gegen England im Croke Park Stadion in Dublin im Jahre 2007,
87 Jahre nachdem britische Auxiliaries wahllos in die Menge feuerten und 14 Menschen toeteten.
Mehr noch: man stelle sich vor, wie an diesem Ort die britische Nationalhymne gespielt wird, und die irische gleich hinterher.

The weight of history!

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